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EIN UNWIRTHBARES EYLAND ▼

10 JAHRE KARLSRUHER SPIELGEMEINDE

 

Am 10. Oktober 2010 fand in der Emmauskirche ein Festakt zum 10-jährigen Bestehen der Karlsruher Spielgemeinde statt. Im folgenden finden Sie die Reden von Herrn Dekan Vogel und Herrn Pfarrer Schaber:

 

Zehn Jahre Spielgemeinde Karlsruhe | 10.10.2009

  1. Ich möchte mit einem Zirkus ziehn mit vielen bunten Wagen

||:die meine Welt und deine Welt auf ihren Rädern tragen. :||

Dieses Lied von Willhelm Wilms vertont von Peter Janssens ist mir eingefallen zu Ihnen und ihrem Ehrentag, liebe Spielgemeinde KA. Ich weiß: Sie sind kein Zirkus. Und bunte Wagen brauchen Sie und Ihre Zuschauenden nur zum An- und Abfahren bei den Vorstellungen. Und auf Rädern tragen Sie nichts. Aber Ihre Stücke: Sie tragen "Meine Welt und Deine Welt".

In 90 Minuten werden ganze Universen in die Räume hinein getragen und entfaltet, in die Räume, in denen Sie – soll ich "spielen" sagen, oder Räume, in denen Sie "leben"? oder Räume, die sie zu "Einladungen um Mitleben" machen? oder Räume, die zum Suchspiel auffordern, sich selber zu entdecken. Ein Stück weit halt.

Sich zu entdecken, so wie wir eben alle leben unterwegs zu Glück und Freiheit, zwischen Schuld und Vergebung, oder zwischen Wahnsinn und Normalität, und mit den großen Fragen in unseren kleinen Leben nach Sinn und Endlichkeit und Lebenszeit. Sie thematisieren in Ihren Stücken eine ars vivendi, die Lebenskunst, in denen oft so viel von Ihnen selber steckt.

Es sind Tastversuche. Sie heißen: Es kann so sein oder vielleicht auch anders. Und: Der Blickwinkel der einen Person ist nicht der einzige. Es sind Konstruktionen der Wirklichkeit als Angebote für sich und alle, die es sehen und hören. Angebote, daraus die eigene Wirklichkeit zu konstruieren. Es ist das Wissen oder auch nur das Ahnen, dass Lebenskunst viele Antworten möglich halten muss.

Im Spiel werden Ansätze von Ant-wörtern formuliert und gemimt, gestikuliert und dargestellt; Ant-Wörter auf Fragen, die sich erst im Laufe eines Stückes herauskristallisieren. Ant-wörter, die Sie vorbuchstabieren und die doch nur Beispiele sind: Ihre Beispiele für die Fragen, die in den Stücken zentral sind und nach und nach entfaltet werden. Ansätze von Ant-wörter und mit fehlenden Buchstaben. Diese Lücken müssen dann freilich Zuschauende selber weiterbuchstabieren. Wenn sie denn dann die eigene Frage gefunden haben.

Als Theaterzelt haben Sie sich Betonbahnen gesucht. Zunächst. Die große Emmauskirche eben, die selber eine Wegstrecke erinnert und eine Geschichte wach hält; und sie heißt auch: Es sind die Gesten und die Elemente, die Verstehen befördern. Es ist ein Handeln dort in Emmaus, das sich verdichtet und am Abend die verzweifelten Gemüter in das Gleißen des nachmaligen Ostermorgens hoffnungsleicht taucht: und so Sinn und Kraft und Leben schenkt. Im kleinen Alltagsdrama bei Tisch gehen damals den beiden verschreckten Anhängern Jesu die Augen auf und die Herzen über.

Prima, dass ER ihnen keine Vorlesung gehalten hat, sondern das Brot bricht.

Einer Handlung ansichtig werden, nimmt in komplexer Weise in einen Aneignungsprozess hinein und schafft Verstehen. Oder fordert solches verstehendes Aneignen geradezu als dessen innere Notwendigkeit heraus. Woanders als in der Emmauskirche hätten Sie gar nicht anfangen dürfen mit Ihrem Spiel, liebe Spielgemeinde.

Andererseits: Die prinzipielle Möglichkeit der Verführung durch Sesshaftigkeit, also die Gewöhnung an eine invariante Umgebung und Erlahmung der Gedanken und Bequemlichkeit durch die leichte Verfügbarkeit der Ressourcen – diese Möglichkeit musste Ihrem neugierigen Wandern zwischen den Spielstätten weichen. Neue Räume ändern die Botschaft. Sie setzen sie in andere Wirklichkeiten. Das Wandern ist so eine Stütze Ihrer experimentellen Poesie geworen. Eben weil es diese Poesie weiter treibt. Und sich so an neue Realitäten adaptieren lässt und Sinngehalte modifiziert. Wer könnte da meinen, dass es unverändert bleiben könnten dabei, das Dargestellte?!

So haben Sie an vielen Stätten Ihre Aufführungen etabliert: In Schlössern und Kirchen, in Museen und Theatern. Die Spielstätte hier in der Emmauskirche – vielleicht ist sie Ihre Spinnstube. Die Spinnstube des Erprobens und Erfindens und des jeweils ersten Aufführens aller Ihrer Stücke.

 

Sie atmen in ihr die Atmosphäre, in der sich längst ein guter Geist eingenistet hat, der die Phantasie beflügelt und den Mut bestärkt, die Gedanken schärft und die Konzeption langsam zum Stück gerinnen lässt aber doch noch offen bleibt für Anpassungen in der Spielpraxis.

Lassen Sie sich weiter anregen und animieren, über Gott und die Welt nachzudenken und uns in ihr Spiel hinein schauen zu lassen. Das wäre der Wunsch, der sich ganz innig mit dem Dank verbunden weiß, für ein Jahrzehnt der Theaterkultur, ausgehend aus einer unserer evangelischen Kirchen. Es ist der Dank an Sie alle in der Spielgemeinde Karlsruhe und natürlich in besonderer Weise an Ihre Gründerin, Impulsgeberin und Leiterin, Frau Heide Harmsen.

Mögen Sie alle noch lange weiterspielen in Ihrer Gemeinschaft – ad multos annos – auf noch viele weitere Jahre! Gott befohlen!

Herr Dekan Otto Vogel

 

Laudatio anlässlich 10 Jahre Karlsruher Spielgemeinde

Liebe Frau Harmsen, liebe Mitglieder der Theatergruppe, liebe Gäste,

Theater und Kirche, passt das überhaupt zusammen? So hat sich mancher gefragt in den 10 Jahren, die Sie, liebe Theatergruppe nun hier an der Emmauskirche spielen. In der frühen Kirche erfuhr das Theaterspiel heftige Ablehnung bei den Kirchenvätern. Theater galt als etwas Heidnisches. Kein Wunder, denn bei Römern und Griechen war das Theaterspiel kein weltlich Ding, sondern Teil der Verehrung der Götter, genauso wie der Sport. Und folgerichtig wurde alles abgelehnt, was irgendwie mit den heidnischen Göttern zu tun hatte. Außerdem waren die Kirchenväter besorgt, man könnte im Theater zu viel nackte weibliche Haut sehen, und damit beträchtlichen "Zunder" in seinem Herzen anhäufen. Nun, ich gebe zu, dass manche moderne Theaterproduktion diese Sorge durchaus begründet erscheinen lässt, doch die Karlsruher Spielgemeinde ist davon weit entfernt. Wohl sorgen auch Sie für Zunder im Herzen, aber der ist doch von ganz anderer Art.

Kirche auf Kriegsfuß mit dem Theater? Das ist jetzt mehr als 1600 Jahre her, und dennoch ist es auch heute noch keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Besonderheit, die aufmerken lässt, wenn in einer christlichen Kirche Theater gespielt wird. Und wenn ich von Ihrem Theater spreche, dann geht es dabei nicht um Szenen, die eine biblische Geschichte nachspielen oder die im Gottesdienst zum Verkündigungsteil beitragen. Diese Art von Theater in der Kirche gibt es schon seit dem 10. Jahrhundert mit den Osterspielen, die Teil der Liturgie waren. Dazu kamen später die Passions- und Weihnachtsspiele. Anfangs wurden noch alle Rollen von den Klerikern gespielt!

Nein, wenn wir von der Karlsruher Spielgemeinde sprechen, dann ist eine andere Art von Theater gemeint. Sie führen keine fertigen Dramen auf aus der Literatur, Sie machen Ihre Stücke selbst. Ihre Gespräche und Diskussionen gebären Ideen, die dann dramatisch umgesetzt werden. In kollektiver Arbeit bringen Sie Ihr Werk auf die Bühne.

Die Themen, die Sie sich geben und die Art der Inszenierung stellen hohe Ansprüche an den Zuschauer! Es ist keine leichte Kost, die Sie servieren, weder im Betrachten, besser sollte ich sagen: im Miterleben, noch im Reflektieren darüber! Es sind keine gefälligen Stückchen, keine Unterhaltung. Sondern Sie nehmen die Seelen der Zuschauer mit auf eine manchmal dunkle und beklemmende Reise. Titel wie 2003 "Smaragd im Mund / Grenzüberschreitungen zwischen Normalität und Wahnsinn" oder 2004 "Wenn die Milch überkocht" deuten dies an. Auf jeden Fall ist man am Ende des Stückes ein anderer geworden. Man erlebte Einblicke in Seelenabgründe und Ausblicke zu neuen Horizonten.

Warum Theater in der Kirche? Was macht der Sakralraum mit den Akteuren und den Zuschauern? Eine spannende Frage! Auf jeden Fall wird so der ganz normale, alltägliche Wahnsinn in einen religiösen Rahmen gebracht. Akteure und Zuschauer stellen sich dem gewissermaßen vor Gott. Sie spielen jedes Stück zuerst und zuletzt hier in der Kirche, zwischendrin gehen Sie damit auf Tournee, auch in weltlichen Räumen. Und dennoch ist es der Sakralraum, der Ihr Stück mitprägt, denn hier üben und diskutieren Sie.

Ich glaube aber, dass es darüber hinaus noch tiefere Zusammenhänge gibt: Was in der Kirche die Beichte und die Absolution ist, das ist im Theaterspiel die Katharsis, die Reinigung der Seele, die durch das Miterleben des Schauspieles geschieht. Und das gilt sowohl für die Schauspieler als auch für das Publikum. Im Anteilnehmen erlebe ich fremdes Schicksal als mein Schicksal. Und dabei kann zweierlei geschehen: entweder heißt es: Tua res agitur, deine Sache ist es, die da verhandelt wird. Dann kann ich aus der Zuschauerperspektive die Aktionen der Beteiligten beobachten und neue Lösungswege virtuell erproben. Die Akteure handeln dann stellvertretend für mich.

Die andere Möglichkeit ist, dass eine mir fremde Sache vorgestellt wird, durch die ich erst im Beobachten und Miterleben ein Verständnis bekomme. Ich werde mitgenommen in fremde Rollen und lerne Verständnis für andere Lebensentwürfe. Ich darf mich im mir Fremden ausprobieren. Das weitet nicht nur meinen Horizont, sondern hilft mir auch, meinen Nächsten besser zu verstehen.

Rollenwechsel.

"Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel..... und zieht den neuen Menschen an", schreibt der Apostel im Epheserbrief (3,22+24). Um einen Rollenwechsel geht es also auch im christlichen Glauben. Den ganz normalen, alltäglichen Wahnsinn ablegen und eine andere Rolle spielen, das würde heißen, auf Christus hin zu wachsen.

Nun verstehe das bitte niemand so, als sei der Glaube nur ein Schauspiel, eine Verstellung, ein äußerliches so tun als ob. Nein, wer die Kleider wechselt und den neuen Menschen anzieht, der wird auch wirklich zu dem, was er spielt.

Wirklich zu dem werden, den er spielt, und sei es nur für die Dauer des Stückes, das macht einen guten Schauspieler aus. Die Verwandlung in einen anderen Menschen geschieht im Schauspiel nur zeitweise, als Experiment. Im Glauben ist sie eine fortschreitende dauerhafte Wandlung hin zu dem was der Apostel den neuen Menschen nennt.

Reinigung der Seele, sich selbst von außen zu betrachten und den Nächsten von innen her begreifen lernen, der Rollenwechsel: in all dem gibt es Berührungspunkte von Theater und Kirche. Und darum ist es etwas Besonderes und etwas, das aufmerken lässt, dass Sie liebe Frau Harmsen, liebe Theatergruppe, seit 10 Jahren Theater in der Kirche machen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie als Gruppe noch lange so zusammen arbeiten können. Bei der heutigen Mobilität und bei all den zentrifugalen Kräften, die an jedem von uns ziehen, wäre es nicht selbstverständlich, aber schön und wünschenswert, wenn wir in 15 Jahren zum nächsten Jubiläum zusammen kommen könnten.

Liebe Frau Harmsen, liebe Mitglieder der Theatergruppe, ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit!

Herr Pfr. Frank Schaber