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BNN, 09. Dezember 2014

 

Lohnt sich Einsatz für Mitmenschen?

 

Spielgemeinde dokumentiert mit realem Fall die Schwierigkeit von Zivilcourage

 

"Ich habe alles falsch gemacht. Ich habe den Mund aufgemacht", sagt Hanne L. zu Beginn des Stückes. Die Altenpflegerin bereut, sich für ihre moralischen Grundsätze eingesetzt zu haben. Dieser Konflikt ist das zentrale Thema von "Gefangen im Netz". Mit dem Schauspiel gastierte die Karlsruher Spielgemeinde vor 50 Besuchern am vergangenen Samstag in der Spöcker Sankt Georg Kirche.

Das Stück beruht auf einer wahren Begebenheit: Die Altenpflegerin Brigitte Heinisch zeigte 2004 ihren Arbeitgeber, ein Berliner Pflegeheim, an. Sie ging an die Öffentlichkeit, weil sie auf Missstände aufmerksam machen wollte.

GEFANGEN IM NETZ wird die ehemalige Altenpflegerin Hanne L. aufgrund ihrer Spielsucht. Nach ihrer Kündigung füllen Online-Spiele ihren Alltag. Foto: Raviol

 

Zu wenige Pfleger für zu viele Patienten lautete ihre Kritik. 2005 kündigte ihr das Pflegeheim fristlos

Nach und nach wird in "Gefangen im Netz" deutlich, warum die starke Frau gebrochen ist. Sie hat sich für andere Menschen, damit gegen ihren Arbeitgeber eingesetzt. Ohne Arbeit, ohne unterstützende Rechtsprechung des Gerichts und ohne wahre Mitstreiter stellt sich für sie die Frage, ob sich das gelohnt hat.

Durch musikalische Begleitung stimmungsvoll inszeniert, führt das Schauspiel mit einer Mischung aus Gesellschaftskritik und Humor durch reale und surreale

 

Szenen. Freundinnen schenken Hanne L. einen Laptop – und leiten damit ungewollt deren Spielsucht ein. Nach einer Weile ist sie ganz und gar gefangen in einer anderen Welt. Hier kommen die surrealen Elemente der Aufführung zum Vorschein, Menschen mit Cyberhelmen fangen die Hauptdarstellerin in einem Netz.

"Das Stück wurde von allen Schauspielern zusammen geschrieben", sagt Regisseurin Heide Harmsen. Sie habe lediglich die Idee dazu eingebracht, nachdem sie Brigitte Heinisch in einem Vortrag gehört habe. Man habe Heinisch die Strapazen der jahrelangen Gerichtsverhandlungen angesehen. "Das hat mich bewegt. Das Schicksal einer Frau, die sich dagegen stellt und Rückgrat zeigt."Mit kritischen Schlagworten zur Situation in Pflegeheimen oder Thesen zu Courage und Mut provoziert das Schauspiel moralische Gedankenkonflikte: "Was nützt das Recht, gesprochen zur unrechten Zeit?" Die erfundene

Spielsucht verschlimmert das Schicksal der Protagonistin. "Wir möchten den Fall aber auch nicht eins zu eins darstellen, sondern die Essenz", sagt Harmsen

Der Ausgang für Brigitte Heinisch ist bekannt: Nach über sechs Jahren Gerichtsverhandlungen erhielt sie nach einem Vergleich 90 000 Euro. Im Schauspiel der Karlsruher Spielgemeinde bleibt offen, ob Hanne L. aus der Spielsucht und zurück in ihr berufliches Leben findet. So offen das Ende ist, in einem Punkt bezieht das Stück ganz eindeutig Stellung: Es fordert mehr sozialen Einsatz für Mitmenschen – auch im Risiko, selbst etwas einzubüßen. Damit steht es angesichts der aktuellen Vorfälle um Zivilcourage ganz im Geiste der Zeit. Sebastian Raviol