Sonntags Zeitung 7.11.1999

Selbst ist die Gruppe

Die Karlsruher Spielgemeinde führt ein Theaterstück auf. Um was es in diesem Stück geht weiß man noch nicht: Es wird noch geschrieben

Im Anfang war das Wort ... So beginnt das Buch der Bücher, die Bibel. Doch in der Karlsruher Spielgemeinde ist noch nicht einmal das vorhanden, zumindest nicht vom Theaterstück, das die Gruppe Aufführen möchte.

Die Karlsruher Spielge-meinde ist ein neues Projekt der Theaterpädagogin Heide Harmsen. Eine bunt zusam-mengewürfelte Gruppe von Menschen trifft sich jeden Mittwochabend im Ev. Gemeindezentrum Wald-stadt-Nord um ein Theater-stück auf die Bühne zu bringen. Aber vom besagtem Stück existiert weder Hand-lung noch Dekoration noch überhaupt irgedetwas: Text, Idee und Inhalt sollen von der Gruppe gemeinsam erar-beitet werden.

Heide Harmsen kennt sich aus mit Theaterspielen. Seit 20 Jahren hat sie in diesem Bereich zu tun und schon mehrere solcher Projekte an Schulen geleitet. Auf die Frage, ob denn schon jemals ein Stück nicht zustande ge-kommen wäre, antwortet sie lapidar: "Nein, noch nie. Es hat immer geklappt."

Knapp 20 Personen sitzen beim ersten Treffen im großen Stuhlkreis und blicken erwartungsvoll zu Heide Harmsen, die der Gruppe erläutert, um was es bei dem Projekt geht. "Theater ist ein gesunder Weg um sich zu erfahren." Jetzt müssen sich die Leute erstmal kennenlernen: "Im Theater kommt man sich sehr nahe. So nahe wie man sonst Menschen im Nor-malfall nie kommt. Das muß man üben" sagt Harmsen.

Und so werden nach dem Warmwerden schon erste Übungen absolviert, die

Bretter die die Welt bedeuten Foto: Artis

dabei jede Frage gestellt werden darf, auch wenn sie an der Kirche und deren Lehre zweifelt.

In den nächsten Wochen wird es darum gehen, Inhalt und Richtung des Stückes festzulegen. Das Alles wird die Gruppe gemeinsam ma-chen." Der Vorteil, wenn die Gruppe ihr Stück selbst schreibt, liegt darin, das für jeden Teilnehmer die pas-sende Rolle gefunden werden kann", sagt Harmsen. Ani-mositäten darf es dabei nicht geben und Starallüren schon gar nicht. Und dann meint sie ernst: "Auch wenn jemand nur einmal über die Bühne laufen darf und keinen Text hat, so kann er doch extrem wichtig für das gelingen oder nicht gelingen sein."

Doch die Schauspielkunst allein reicht nicht aus. Auch die Infrastruktur für das Theaterstück muss aufge-baut werden. Dazu gehört, dass sich Personen aus dem Teilnehmerkreis Gedanken machen über Beleuchtung, Dekoration und Kostüme. Einige Hintergründe zu be-stimmten Themen, die im Stück vorkommen sollen, müssen recherchiert werden. Und natürlich muss sich jemand um die Aufführungs-orte für das Stück kümmern, denn schließlich soll es nach Fertigstellung auf Tournee gehen. Als mögliche Spiel-orte kommen die Kirchen im Stadtgebiet in Frage, aber auch zum Beispiel das Bluemix-Thater oder die Orgelfabrik in Durlach.

Doch so weit ist die Gruppe noch lange nicht: Mehr als ein Jahr hat Harmsen für das Projekt veranschlagt. Aus-dauer ist notwendig - auf die Teilnehmer wartet viel Arbeit. Marcus Dischinger

Hemmschwelle zwischen den Teilnehmern abbauen sollen: Sie laufen im Raum umher, mal laut, mal leise, reichen sich die Hände und lassen sich führen vom je-weiligen Partner. Die mei-sten Übungen dienen dazu, Vertrauen aufzubauen. Ge-schauspielert wird natürlich auch: Was kann man eigent-lich mit einem Hut anfangen? Wie reagiere ich, wenn jemand mit ganz schnellen Schritten auf mich zukom-mt? Und die Teilnehmer haben Spass dabei.

Jule, angehende Logopädin (22), meint lachend: "Ich finde es gut, hier mitzu-machen, weil ich noch nicht so lange in Karlsruhe wohne und dadurch auch viele Leute kennenlerne. Auserdem hoffe ich, dass ich vieles für mich persönlich mitnehmen kann." Oder zum Beispiel Carsten (26). Er studiert, macht in der Gemeinde Jugendarbeit und hat schon öfters Theater gespielt. Wenn solch ein Projekt in seiner Gemeinde läuft, möchte er natürlich dabei sein. Die meisten

Die meisten Teilnehmer sind wie Carsten noch unter 30 Jahren.

Vorgaben zum Inhalt des Stückes gibt es nicht. Da das Projekt innerhalb der Kirchengemeinde entsteht, sollte allerdings der religiöse Bezug vorhanden sein. Deshalb werden Sinnfragen und theologische Aspekte eingearbeitet. Damit haben die beteiligten keine Proble-me: Sie sind gekommen, weil sie Antorten auf Fragen zur Kirche suchen, die sie be-drängen. Und Heide Harmsen versichert, dass

 

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