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BNN, 28. November 2016

 

Das Leben ist mehr als nur ein Wohnort

 

Neue Inszenierung der Karlsruher Spielgemeinde

 

Immer am Puls der Zeit sind die Stücke der Karlsruher Spielgemeinde. Und so war es naheliegend, im Entstehungsjahr der jetzt gezeigten Produktion das allbeherrschende Thema aufzugreifen: Flüchtlinge. Flucht. Hinausgestoßen. Verlust. Aber gibt es nur den Verlust von Heimat? Die Theatergruppe um Regisseurin Heide Harmsen, die alle ihre Stücke selbst erarbeitet, fand, das Leben bestehe nicht nur aus „Wohnort“. So wurde das aktuelle Stück „Falsche Adresse“, das am Samstag in der katholischen Kirche Sankt Georg in Spöck gezeigt wurde, auch zu einer Auseinandersetzung mit den Inhalten, die einen Menschen umtreiben und ihm zu schaffen machen. So entstand eine Szenenfolge, in der mehrere Protagonisten ihre eigenen Verluste darstellen.

 

Schauplatz ist eine Wohngemeinschaft in einem heruntergekommenen Haus. Hier haben sie sich eingerichtet und vor der Welt zurückgezogen: Madame Erdmuthe (Gila Borcherding), die den Tod ihrer Tochter nicht annehmen kann und mit einer Puppe zu kompensieren versucht. Anna (Anne-Kathrin Braun), traumatisiert durch die kaltherzige Mutter ihrer Kindheit, wehrt sich mit Zorn, um nicht in Depression zu versinken. Antonia (Regine Baumgärtner) hat ihre Haare verloren, restauriert dafür ägyptische Gewänder. Der Professor (Michael Draese) ist versessen aufs Komponieren, hat aber keinen Erfolg. Liese (Rens van Ruiten) sorgt für Sauberkeit in der WG. Mit dem scharfen Meißel ihrer höchst dramatischen und lebendigen Spielweise profilieren die Schauspieler der Karlsruher Spielgemeinde diese Problemstellungen heraus. Achim Pfeil gibt den einzelnen Szenen mit Gitarre und Percussion zusätzlich Farbe und Tiefenschärfe.

 

In diesen kleinen Kosmos platzt der Eindringling in Gestalt des Fremden, der eine Bleibe sucht (Wolfgang Nill). Mit kraftvollem Auftreten drängt er sich hinein und lässt sich von der Erdmuthes Abweisung „Das ist die falsche Adresse“ nicht abwimmeln.

 

Zwei Bewohner sind ganz anders: Sascha (Tobias Dreher) ist Designer, Franzi (Heike Hendl) kommentiert das aktuelle Geschehen mit ihrem Akkordeon. Als sie gerade dabei waren, sich mit dem Fremden abzufinden, übermittelt die Concierge (Ute Langenbein) die Nachricht, das Haus werde verkauft und sie müssten alle raus. Die mühsam errichtete Ordnung wird aufgebrochen. Aber die Störung wird zur Chance, denn jetzt muss jeder eine Lösung finden. Das gelingt Erdmuthe und Anna, die sich lieben lernen, dem Komponisten, der sich aufs Singen verlegt, und der Schneiderin. Der Fremde stürzt davon, aus der Erkenntnis, nicht angekommen und an der falschen Adresse zu sein.

 

Es wäre nicht die von christlichen Werten getragene Karlsruher Spielgemeinde, wenn sie dieses Ende nicht als ernste Mahnung verstanden wissen wollte. Marianne Lother

FALSCHE ADRESSE: Der Fremde (Wolfgang Nill, Mitte) dringt in die Wohngemeinschaft ein, weil er eine Bleibe braucht. Foto: Lother