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SMARAGD IM MUND ▼

HILDEGARD VON BINGEN

 

Auf dieser Seite finden Sie alle Zitate von Hildegard von Bingen, die wir in unserem Stück "Smaragd im Mund - ein Stück verrückt" verwendet haben:

 

Es geschah in meinem 43. Lebensjahr, das hatte ich wieder eine Vision, da sah ich plötzlich einen überhellen Glanz, aus dem mir eine Stimme aus dem Himmel zurief: Du hinfälliger Mensch, du Asche, du Fäulnis von Fäulnis, sage und schreibe nieder was du siehst.

Aber als ich das sah, erfaßte mich ein so starkes Zittern, dass ich kraftlos zu Boden stürtzte und mit niemandem sprechen konnte. Da berührte mich plötzlich ein überheller Glanz wie eine Hand und ich erlangte Kraft und Sprache wieder.

Danach sah ich eine weibliche Erscheinung, vom Scheitel bis zum Nabel fahl und von der Leibesmitte bis zu den Füßen schwarz. Sie besaß keine Augen, ihre Hände aber behielt sie in den Achselhöhlen.

Gott läßt nicht zu, dass der Teufel in seiner göttlichen Gestalt in den Menschen eindringt, sondern der Teufel umhüllt sich mit einem schwarzen Schatten und verführt ihn so zum Wahnsinn.

Ich sah einen breiten schwarzen See: der war voll von schlammigen Moder, aus dem Würmer quollen, die nur ein Auge hatten und die mit ihren Schwänzen die ganze faulige Masse in Bewegung brachten. In diesem fauligen Unrat mit seinen Würmern wurden Seelen jener Menschen, die auf dieser Welt von Zorn und Hass besessen waren, gepeinigt, während sie gleichzeitig im Feuer dieser Lüfte brennen mußten.

Oh du verteufelte Hinterlist. Wie ein Wolf lauerst du auf die Beute, und das Eigentum der anderen verschlingst du wie ein Geier. Deinen Bauch wirst du dennoch nicht vollkriegen.

Ich sah etwas wie einen großen eisernen farbenen Berg. Darauf trohnte eine Gestalt von solchem Glanz, dass ihre Herrlichkeit meine Augen blendete.

Ich sah einen so ungeheuer großen und langen Drachen, der so
schrecklich und wild aussah, dass es kein Mensch zu sagen vermag. Der Drache war schwarz und borstig. Fünf verschiedene Farbstreifen trug sein Leib, vom Kopf über den Bauch bis zu den Füßen zogen sie sich hin: ein grüner, ein weißer, ein roter, sowie ein gelber und schwarzer war zu sehen, voll von tödlichem Gift.

O ihr dummen Menschen! Lau und schlecht dämmert ihr vor euch hin und wollt nicht einmal ein Auge öffnen, um zu sehen, was ihr in eurem gut ausgestatteten Geist seid. Ihr aber empfingt den Geist, um nutzbringenden Gewinn!


Ich sehe in euch etwas wie eine untaugliche Neigung zum Erschlaffen und Vergessen. Ihr seid Nacht, die Finsternis aushaucht und wie ein Volk, das nicht arbeitet.

Euer Geist gleicht einer sturmschwangeren Wolke. Bald überläßt er sich träge dem Zorn, bald in Ausgelassenheit viehischem Schmutz. Nun hat aber die Gnade Gottes den Menschen, der sich auf die Vernunft stützt erschaffen, damit er in der Erkenntnis des Guten und des Bösen Gerechtigkeit wirke und aus dieser Erkenntnis heraus das Gute erstrebe und das Böse von sich werfe.

Gott hat die Gestalt des Menschen nach dem Bauwerk des Weltgefüges, nach dem ganzen Kosmos gebildet, so, wie ein Künstler seine Formen hat, nach denen er Gefäße macht.
Und wie Gott das riesige Instrument des Weltalls nach ausgewogenen Maßen gemessen hat, so hat er dementsprechend den Menschen in seiner kleinen, kurzen Gestalt abgemessen. Gott schuf ihn so, dass Glied an
Glied gefügt, keines das richtige Maß, das richtige Gewicht
überschreite, außer nach Gottes Bestimmung.

Der Mensch hat ja Himmel und Erde und die ganze übrige Kreatur schon in sich selbst und ist doch eine ganze Gestalt. Denn Gott hat den Menschen wie einen überaus schönen Edelstein auf die Erde gesetzt in dessen Glanz die gesamte Schöpfung sich betrachtet.


Wie Asche und Aschenkot bin ich vor mir im tiefen Grunde meiner Seele und wie verwehender Staub. Zitternd verweile ich im Schatten wie unter schützenden Flügeln. Vertilg mich nicht als ein Fremdling aus dem Land der Lebendigen.

Alsdann sah ich vom Norden her eine Wolke, die sich gegen diese Finsternisse ausdehnte. Sie war aller freude leer und aller Seligkeit bar. Vollwar sie von bösen geistern, die in ihr unruhig herumfuhren, um gegen die Menschen lauter Bosheiten im Schilde zu führen.

Und wenn jemand von der Fallsucht geplagt zu Boden fällt, wenn er dann so hingestreckt liegt, lege den Smaragd in seinen Mund, und sein Geist belebt sich wieder.

Und nachdem er aufgestanden ist und nachdem er jenen Stein
aus seinem Mund genommen hat, dann soll er ihn aufmerksam anschauen und sagen: Wie der Geist des Herrn den Erdkreis erfüllt hat, so erfülle er das Haus meines Körpers mit seiner Gnade, dass es eine sichere Wohnung sei.